Das Sammelalbum

Die Sonne steht hoch am Himmel. Kleine Schäfchenwolken schippern langsam und gemütlich vorüber. Es duftet nach Hagebuttenplätzchen. Und ein kleines Radio verströmt blecherne Gute-Laune Musik. Das Küchenfenster des kleinen Hamsters steht weit geöffnet. Er hat gerade seine Kekse zum abkühlen aufs Fensterbrett gestellt. Summend und wippend steht er an der Küchenspüle. Das frisch abgewaschene Geschirr steht rechts zum trocknen und das Spülbecken wischt er gerade sauber. Mehl, Zucker und Backpulver - alles wird ordentlich verstaut. Alles hat seinen Platz. Und auch die kleinen Kekse werden später in einer hübschen Kiste aufbewahrt.

Zustimmend nickt er sich selber zu: „Ja, so ist es fein. Jetzt bin ich hier fertig “

Tänzelnd bewegt er sich zum Küchentisch. Der Wind scheint es ihm nachmachen zu wollen. Eine sachte Brise kommt zum Küchenfenster hinein und weht seine auf dem Tisch liegenden Papiere durcheinander.

„oh je - oh je - Halt! Das brauche ich doch noch.“

Etwas unbeholfen aber flink genug, griff er nach seinen Papieren. Und er breitete sie wieder auf dem Tisch aus.

Neben kleinen getrockneten Blütenblättern, merkwürdig aussehenden Pappfigürchen und beschrifteten Kärtchen, steht auch eine Flasche Kleber und ein großes Sammelalbum bereit. Das Album sieht ganz hübsch aus. Es hat einen hellblauen Einband mit großen bunten Punkten darauf.

Aber es ist ein besonderes Album. Eins in das die Verzweiflung über das ‚Nicht-Verstanden-werden’ eingeklebt wird, wie ein hübsches Blatt, das man gefunden hat. Oder in dem die abgesprochene Empfindung, wie ein seltenes Fundstück, hineingelegt wird. Aber auch andere abstruse Dinge finden sich hier: Wie die Erzählung über eine Wolke, die wie ein Dino ausgesehen hat oder der Baumfreund, den man vielleicht als Kind hatte.

Der kleine Hamster sortiert hier Erfahrungen, die er eigentlich gar nicht so recht gebrauchen kann. Es macht sie nicht ungeschehen. Aber somit trägt er sie nicht mehr dauernd mit sich herum. Das heißt nicht, dass sie nicht mehr weh tun. Aber sie hören auf, eine offene Wunde zu sein.

Eine leere Seite liegt bereits aufgeschlagen vor ihm, aber der kleine Hamster blättert trotzdem noch einmal darin.

„Hm.. ach schau, da hat man mir erklärt, dass ich niemals jemand sein werde “

Er strich mit dem Finger über ein kleines Stück Stoff, dass er vor langem mal ins Album hineingeklebt hat.

„Oh und hier - da hat man gesagt, ich sei ein undankbarer Wesenskern.“

Er tippte auf eine getrocknete Saat, die im Album ebenfalls ihren Platz gefunden hat. „Un-lös-ba-res...“ liest der kleine Hamster vor - es ist die Überschrift des Eintrages. Er blättert noch ein wenig unbekümmert herum, nickt ab und zu, äußert manchmal ein "Mhm" und dann ist er wieder auf der leeren Seite angelangt.

Er schreibt auf eines der vorbereiteten Kärtchen:

„Meine Werte sind anders als deine. Wir werden nicht mehr zueinander finden, aber so ist das nunmal.“

Der kleine Hamster klebte das Kärtchen ins Album - fügte eines der merkwürdig aussehenden Figuren dazu, fixierte es vorsichtig mit einem Tesastreifen und drückte es nochmal ganz sorgfältig mit beiden Pfötchen fest.

"So! Fertig. Es war. Und jetzt darf es sein.“

Er schloss die Augen und atmete fest ein und lange aus. Dann sagte er weiter:

„Niemand ist ohne Narben, ohne merkwürdige Erinnerungen ohne Brüche.“

Er klappte das Sammelalbum zu. Strich noch einmal liebevoll darüber und stellte es oben ins Regal, neben sein kleines Küchenradio, das immer noch gute-Laune-Musik trällerte. Tänzelnd steckte sich der kleine Hamster genüsslich ein Hagebuttenplätzchen in den Mund und ließ das Leben eben einfach passieren.

z u r ü c k